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Valery Stojanow
Die Orthodoxie im öfentlichen Raum Südosteuropas nach der Wende 1989

Sakralisierung des öffentlichen Raums in Südosteuropa nach der Wende 1989. Internationale Tagung der Pro Oriente Kommission für Südosteuropäische Geschichte. Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Graz, 16-18. September 2010.

Verehrte Eminenzen aus der Stadt Graz und der Stiftung Pro Oriente!
Sehr geehrter Herr Generalvikar der katolischen Kirche in Sarajevo Mato Zovkić und sehr geehrter Herr Imam der muslimischen Gemeinschaft in Sarajevo Dževad Handžić!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren!

Verzeihen Sie mir bitte, dass ich vor Euch an dieser Stelle unvorbereitet auftrete. Ich bin kein Geistlicher (wenigstens in diesem Leben nicht) und für mich ist es eine große Ehre aber auch eine schwierige Aufgabe, hier die Orthodoxie zu "vertreten". Sicherlich hätte Herr Irinej Bulović, der serbisch-orthodoxe Bischof von Bačka, ein weit besseres Einblick in die Problematik verschaffen, doch leider ist er verhindert, heute unter uns zu sein. Als ein nicht streng praktizierender Christ, der in einer säkulasierten Welt lebt, doch sich im Gedanken oft an Gott wendet - sei es um Beistand zu beten oder seine Liebe und Verbundenheit zu äußern - kann ich die Lage nur allgemein und mit den Augen eines Beobachters anstreichen.

Meine Damen und Herren!

Wir leben in einer Welt, wo die Religion zu einer privaten Angelegenheit geworden ist. Für den Grad der Säkularisierung unserer Gesellschaft spricht auch der Umstand etwa, dass ich in meinem Hotelzimmer z.B. keine Bibel mehr finden konnte. Und das in Graz, in Österreich.

Gestern erinnerte der Papst die Briten an ihre christliche Geschichte und warnte vor dem "aggressiven Säkularismus", der Gott aus dem öffentlichen Leben auszuschließen versucht. Seine Heiligkeit meinte damit die NS-Zeit, doch dasselbe gilt auch für die Periode der kommunistischen Herrschaft in Ost- und Südosteuropa, als zuerst in der UdSSR schon in den Vorkriegsjahren und danach in den Satellitenstaaten des Ostblockes (gewiss mit unterschiedlicher Intensität und Konsequenzen) ein "aggressiver Atheismus" auferlegt wurde, der danach bestrebt war, die Kirche als ein gesellschaftliches Faktor zu marginalisieren. Deswegen ist es kein Wunder, dass nach der Wende die Rolle der Religion in den postkommunistischen Gesellschaften merklich gestiegen ist. Dazu trug aber auch - und dies brauchen wir nicht zu verschweigen - die verschlechterten ökonomischen (und moralischen) Lage der breiten Bevölkerungsmassen in Ost- und Südosteuropa, wo sich der einfache Mensch auf sich selbst verlassen fühlt, und da er von alleine mit der wirtschaftlichen Misere nicht fertig sein kann, sucht er nun eine Zuflucht und einen Beistand beim Gott. Dies erklärt zum Teil das Phänomen der Wiederkehr der Religion, oder - besser gesagt - der verstärkte Präsenz der Kirche in den postkommunistischen Gesellschaften.

Und wenn wir über die (Ost)Orthodoxie im öffentlichen Raum Südosteuropas nach der Wende sprechen, dürfen wir nicht die historische Entwicklung außer Acht lassen, da viele gegenwärtige Erscheinungen in der Vergangenheit wurzeln und sich durch die Geschichte besser verständlich machen. In diesem Sinne sind es zwei bis drei Hauptfragen zu erörtern:

  1. Wie war die Stelle der Orthodoxie im Leben der entsprechenden Völker und Nationen Südosteuropas?
  2. Was änderte sich in dieser Hinsicht nach der Wende 1989?
  3. Welche Rolle und welche Aufgabe hat/haben die orthodoxe(n) Kirche(n) heute?

Das sind also die Fragen nach dem "Gestern", "Heute" und "Morgen" der Ostorthodoxie - nach ihrer Vergangenheit, Gegenwart und der Zukunft. Sie zu beantworten, benätigt man eine große Untersuchung, die nicht nur die Geschichte der einzelnen Nationen mit ihren authokephalen Kirchen berücksichtigt, sondern auch die Verhältnis zum Islam und dem Westchristentum heranzieht und darüber hinaus von den politischen und kulturellen Einflüssen der sich globalisierten Welt eine Rechnung trägt.

Ich würde mich hier nicht mit geschichtlichen Fragen befassen - vielleicht werden manche ihrer Aspekte in der Diskussion erörtert. Ich möchte mich dazu nur äußern, dass sich die Ostorthodoxie bis Ende des Zweiten Weltkrieges in ihrer Lage und Rolle in der Gesellschaft nicht wesentlich von dem Westchristentum unterschied. Vielleicht nur in der verhältnismäßig engeren Abhängigkeit vom (oder Zusammenarbeit mit) dem Staat, was aber wohl in den vererbten Traditionen des oströmischen christlichen Reiches liegt, die sich auch in der osmanischen Zeit aufbewahrten, da der Konstantinopler Patriarch nach wie vor dem Sultan (als "Kaiser") unterstellt blieb. Eben diese Verhältnisse spiegelten sich später in den nationalen Nachfolgestaaten wieder.

Natürlich gab es in der Orthodoxie eine starke Engagierung mit der "eigenen" Nation, da die konfessionelle Zugehörigkeit eine wichtige Identitätsstiftende Rolle beim neuzeitlichen Prozess der Nationsbildung auch auf dem Balkan spielte. Daher verstanden sich die authokephalen Kirchen als "Volks-" oder "Nationalkirchen". Aber das sind Erscheinungen, die man auch in der katholischen Welt (so bei den Polen oder Kroaten) und in gewissem Sinne - mit aller Vorsicht gesagt - vielleicht auch unter manchen muslimischen Gesellschaften, beobachtet.

Nach der Wende 1989 fing einen Prozess an, in dem die Orthodoxie allmählich ihre - während des Kommunismus verlorenen - Positionen wieder zurück gewann. Und das betrifft besonders den offenen Raum. Die Anwesenheit hochrangiger Vertreter der Kirche bei nationalen Feiertagen ist schon zu einer Selbstständigkeit geworden, ebenso wie die "Weihung" z.B. eines neuen Bauobjekts oder einer Bank usw. Zusammen mit der Errichtung sakraler Objekte (Kirchen - wie die Moscheen unter den Muslimen) sind das die sichtbaren Zeichen der zurück gewonnenen Stelle der Kirche und Religion in den südosteuropäischen Gesellschaften. Auch die Arbeit mit den Bedürftigen gehört dazu. Was unsichtbar ist, bleibt in den Herzen der Menschen. Inwieweit haben sie die orthodoxe Glaube nach jahrzehntelangem Druck aufbewahrt oder aber neu entdeckt? Gewiss besuchen manche Leute das Gotteshaus nur, weil es sich dazu gehört, ein Orthodoxer oder überhaupt ein Christ zu sein. Das gilt auch für die Politiker, die sich gern vor dem Kamera blicken lassen, wie sie sich bekreuzen, oder Kerzen zünden. Doch ihr Eifer ist "von dieser Welt" und hat nichts mit der alltäglichen inneren Anstrengung zu tun, das Leben als Christ ins Nächstenliebe und Gottesfurcht zu führen - etwa dasselbe, was wahrscheinlich die Muslimen unter dem "Großen Dschihad" verstehen.

Gott kann vielleicht den Menschen nicht brauchen - es gibt genügende Lebenswesen auf diesem Planeten, die sich ohne uns möglicherweise besser entwickeln würden. Auch der Mensch könnte - wenn es ihm gut geht - ohme Verbindung (religio) zum Gott leben. Doch wenn er sich verzweifelt fühlt und keinen Ausweg mehr findet, da hilft ihm nur der Gott, der ihm tröstet. Weil der Mensch wie eine Pflanze ist, die Wasser, Luft, Sone und geeignete Boden (die altbekannten vier Elemente) benötigt, um seine Fruchte zu geben. Und Gott ist Derjenige der das Gute und die Güter schenkt. Das deutsche Wortvergleich von "Gott" und "gut" entspricht etwa der slawischen Relation zwischen dem "Bog" (Got) und "bogat" (Wohlhabend, reich), beziehungsweise "bogatstvo" (Reichtum). Diese Konnotationen sind nicht zufällig. Ähnliche Parallele finden sich auch in vielen anderen Sprachen.

In seiner Geschichte gewähnte sich der Mensch, nach den Gottes Geboten zu leben, die schließlich moralische Richtlinien und Verpflichtungen gegenüber den Mitmenschen - gleich ob den "eigenen" oder den "fremden" - darstellen. Trotz aller Schikane bleiben die Zeiten der "Gottlosigkeit" verhältnismäßig kurz. Die Religion hat die Eigentümlichkeit, konstant (auch konservativ) zu bleiben, indem sie sich ständig ändert. Und daher liegt auch die Hoffnung für ihre künftige Stelle, darunter auch der Orthodoxie, im öffentlichen Leben Ost- und Südosteuropas.


Graz, am 17. September 2010